Sie war ganz Frau.
Er war ihr Ehemann, obgleich
sie seinen Antrag immer abgelehnt hatte.
So musste sie nicht von ihm scheiden.
Sie war ganz Frau.
Er war ihr Ehemann, obgleich
sie seinen Antrag immer abgelehnt hatte.
So musste sie nicht von ihm scheiden.
Aufgewühlt öffnete Herr P. die Wohnungstür, begierig darauf, die Nachricht des Tages mit seiner Frau zu teilen. Er traf sie im Schlafzimmer an. Sie lag auf dem Ehebett, bäuchlings, als habe sie jemand niedergestreckt. Das Gesicht in den Händen vergraben, schluchzend.
Er setzte sich zu ihr, streichelte ihr sanft den Rücken. „Du hast es also schon gehört?“
Sie nickte und er dachte, was er doch für eine sensible Frau habe, der das Leid anderer so zu Herzen ging. Zarter noch streichelte er ihr jetzt das schöne Haar, flüsterte, es sei ein schwarzer Tag.
Sie richtete sich auf, schloss ihn in die Arme, dankte ihm für seine Anteilnahme. „Sie hat mich über so viele Jahre begleitet!“
Er drückte sie von sich, fragte, wen sie denn meine, bekam die Antwort, die er befürchtet hatte. Entsetzt sprang er auf, begann zu schimpfen: „Es geschieht ein großes Unglück in der Welt, bei dem hunderte Menschen sterben, und deine Tränen gelten einzig einer Sängerin, die sich in den Tod gesoffen hat?“
Sie sah ihn betroffen an. „Ich schäme mich meiner Tränen nicht. Sie war wie ein Teil von mir. Ihr Tod ging mir nah!“
Wahrlich ein schwarzer Tag für Herrn P. Verstimmt widmete er sich seiner Post. Noch als er am nächsten Tag heimkehrte, war sein Ärger nicht verraucht. Doch seine Frau erwartete ihn schon, entschuldigte sich. „Lass uns heute über das Unglück sprechen.“
Mit jedem Wort, das sie über die Katastrophe austauschten, fühlte er sich besser. Endlich schien sie zu verstehen, wie die Dinge zu gewichten waren. Lange sprachen sie, bis er sich seiner Post zuwandte. Ein schwarzer Briefumschlag enthielt die Nachricht vom Tod seines besten Freundes.
„Warum hast du mir nicht gleich davon erzählt?“, fragte er seine Frau.
„Ich dachte, es sei nicht wichtig.“
Würden die Frauen dieser Welt unseren Planeten in gleichem Maße beschützen, wie sie ihn allein durch ihre Anwesenheit verschönern, hätte selbst die geballte Manneskraft wenig Chancen, ihn weiter zu Grunde zu richten.
Er schaute zu ihm auf. Eine letzte Frage brannte in ihm. Beinahe schüchtern stellte er sie ihm, den er sich als seinen Mentor träumte. Wie er denn von der Frau denke. Nicht von all denjenigen, die ihm zu Füßen lägen, sondern von der einen. Der, die die ideale für ihn darstelle.
Und diese Antwort wurde ihm zuteil:
Du willst wissen, ob ich eine mit brünettem Haar bevorzuge oder eine Blonde? Ob es der Intellekt ist, der mich anspricht oder doch das Antlitz? Ob ich mir wünschte, mit ihr lachen zu können, oder das ernste Gespräch suche?
Nun, die Antwort ist einfach. Mein Streben ginge nach derjenigen Partnerin, die mich voll und ganz erfüllt. Die nicht die kleinste Sehnsucht offen lässt und mir in jeder Hinsicht die Augen verschließt für andere ihres Geschlechts. Die mich beim gemeinsamen Lachen nicht glauben lässt, es könne eine geben, mit der ich mich besser unterhalten kann. In deren schönen Augen ich nicht den klugen Gedanken vermisse. Deren Haar in allen Farben glänzt.
Vielleicht gibt es eine solche Frau. Und doch scheint es mir des Verlangens zu viel. Würde ich all das von meiner Partnerin fordern, hätte sie gleiches Recht. Und wie sollte ich dem jemals gerecht werden?
Lange dachte der selbst gewählte Schüler über diese Worte nach. Vor allem die letzte Frage ließ ihn nicht los. Dann aber kehrte er heim zu seiner Frau und war zufrieden.
„Ich bin ein Mann!“, sagt er sich.
Er sagt es sich immer wieder. Und als Mann, braucht er eine Frau. Das weiß er. Er braucht sie, nicht zuletzt, um sich als Mann zu fühlen. Denn wie sonst definiert sich ein Mann als über eine Frau, der er das beweisen kann.
Diese Erkenntnis bringt ihn zum Träumen, wie es wäre ein Mann zu sein. Doch ob sie ihn seinem Traum näher bringt, das weiß er nicht.
Wie ein Boomerang kam Er immer wieder zurück. Je öfter sie versuchte, Ihn abzustoßen, desto kürzer wurden die Abstände bis zu seiner Rückkehr. Bis ihr der Arm so schwer wurde, dass sie Ihn kaum noch aus ihrem Gesichtsfeld verlor.
Vielleicht wäre sie Ihn ganz los geworden, wenn sie sich hätte überwinden können, Ihn zu brechen. Doch ob es an ihrem Charakter lag oder an einer versteckten Zuneigung, die sie für Ihn empfand, es gelangen ihr nur halbherzige Versuche, Ihn loszuwerden. Und mit jedem Jahr wurden sie halbherziger.
So kam es, dass sie mit Ihm alt wurde. Mit Ihm, der ihre Abweisungen lieben lernte.
Herr S. hätte nie gedacht, dass der Tag so enden würde.
Dabei war er ganz sicher mit dem richtigen Bein aufgestanden. Auch hatte er den alltäglichen Weg genommen, vom Bett ins Bad, vom Bad an den Küchentisch, vom Küchentisch ins Arbeitszimmer, vom Arbeitszimmer zur Garderobe. Dort hatte er den Hut aufgesetzt und einen letzten Blick in den Spiegel geworfen, bevor er zur Wohnungstür aufgebrochen war, sie geöffnet und wieder geschlossen hatte, um kurz darauf in seinen Wagen zu steigen und ins Büro zu fahren.
Auch auf der Arbeit war alles gewesen wie immer. Er hatte Akten durchgesehen, telefoniert, geschrieben, telefoniert, Akten durchgesehen und wieder telefoniert.
Pünktlich um 16.00 Uhr wollte er dann in den Feierabend gehen, als ihn eine Kollegin aufhielt. Frau N. nahm ihm den Hut vom Kopf und sagte ihm, es müsse sich in jedem Leben einmal etwas ändern.
Frau N. nahm ihn an die Hand und führte ihn aus. In den Park, in ein Restaurant, dann in eine Kneipe, schließlich zu sich nach Hause.
Nun lag er neben ihr und dachte, dass morgen alles anders sein würde. Er würde aus ihrem Bett aufstehen, mit welchem Bein auch immer. Dann würde er in ihr Badezimmer gehen, um an ihrem Tisch zu frühstücken.
Zwar wusste er nicht, ob es am darauffolgenden Tag noch immer so sein würde, doch er beschloss, sich auf jeden Fall von seinem Hut zu trennen.